Verden, 03. Juni 2024 – Die schmerzmedizinische Versorgung in Deutschland, und insbesondere in Niedersachsen, ist in Gefahr. Diesem Thema widmeten sich zwei Versammlungen der schmerzmedizinischen Berufsverbände QuAN! und BVSD am vergangenen Samstag. Die Aller-Weser-Klinik Verden hat für diese Veranstaltung die Gastgeberschaft übernommen und stellte den beiden Verbänden ihre Versammlungsräume der neuen Cafeteria zur Verfügung.
„Wir danken dem Ärztlichen Direktor und Schmerztherapeuten Dr. Peter Ahrens herzlich für seine Einladung“ sagen Dr. Carsten Brau, Präsident des Berufsverbandes der qualifizierten Algesiologen Niedersachsen e.V. (QuAN!) und Dr. Eberhardt Sumpf, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD).
In Deutschland leben rund 4 Millionen Menschen mit schweren hochproblematischen chronischen Schmerzen, bei denen der Schmerz seine Schutz- und Warnfunktion verloren und zu einer eigenständigen Erkrankung geworden ist. Vor dem Hintergrund eines multifaktoriellen Gefüges zwischen organischen, seelischen und sozialen Aspekten, die sich gegenseitig verstärken und so zur Aufrechterhaltung oder Verschlechterung des Krankheitsbildes beitragen, spielt der Zusammenhang mit dem ursprünglichen Schmerzauslöser dabei oft nur noch eine untergeordnete Rolle.
Die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten bezifferten sich laut einer Studie aus dem Jahr 2011 auf 20 – 30 Milliarden € pro Jahr und dürften inzwischen deutlich höher liegen. Diese Patienten benötigen eine Therapie, die der Komplexität ihrer Erkrankung gerecht wird, indem ein vernetztes Team aus verschiedenen Disziplinen eng und täglich neu abgestimmt zusammenarbeitet. In den rund 450 spezialisierten Krankenhausabteilungen Deutschlands sind das psychologische, pflegerische, physiotherapeutische, ergotherapeutische, sozialmedizinische, kunst- und musiktherapeutische sowie ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus mehreren Fachdisziplinen, die unter der Bezeichnung „interdisziplinär multimodale stationäre Schmerztherapie (IMST)“ nur gemeinsam die benötigte Therapie abbilden können.
In den bisherigen Regierungsplänen zur Krankenhausreform ist eine Leistungsgruppe Schmerzmedizin nicht vorgesehen. Deshalb wird es voraussichtlich beim Reformstart zu einer Absenkung der Fallpauschalen für schmerzmedizinische Leistungen kommen. „Die Auswirkungen dieser verfehlten Versorgungspolitik sind bereits abzusehen. Denn die Geschäftsführer der Krankenhäuser und Kliniken konzentrieren sich bereits heute hauptsächlich auf die geplanten Leistungsgruppen. Hier spielt zukünftig die Musik. Die Kliniken kehren teilweise bereits heute die teil- und vollstationäre schmerzmedizinische Versorgung unter den Teppich, weil sie zukünftig nicht mehr als erlösrelevant erachtet wird. Teilstationäre und stationäre schmerzmedizinische Einrichtungen werden geschlossen oder Neuplanungen eingestellt,“ befürchtet Dr. Sumpf.
Dieses betrifft den stationären Versorgungssektor. In der ambulanten Medizin können sich deutschlandweit die rund 1400 spezialisierten Schmerzmediziner um etwa 420.000 der 4 Millionen chronisch schmerzkranken Patienten kümmern. Die Qualitätskriterien erlauben keine Steigerungen der Fallzahlen pro Arzt. Die Verbesserung der Versorgung ist ausschließlich über eine Steigerung der Arztzahlen erreichbar. Hierfür wären eine Bedarfsplanung und eine entsprechende Förderung notwendig. Beides ist nicht vorhanden.
Dabei bildet Niedersachsen das Schlusslicht in der ambulanten schmerzmedizinischen Versorgung Deutschlands. Laut aktuellem Qualitätsbericht 2023 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kommt in Niedersachsen ein Schmerztherapeut auf rund 103.000 Einwohner (Bundesdurchschnitt ein Schmerztherapeut pro 60.000 Einwohner). Nicht einmal ein halbes Prozent der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten Niedersachsens hat sich auf die Schmerzmedizin spezialisiert. Gleichzeitig haben sich die finanziellen Bedingungen seit 2021 zulasten der Schmerzmediziner aus der Fachgruppe Anästhesie drastisch verschlechtert, indem die Leistungen seither budgetiert werden. Jeder hinzukommende Schmerzmediziner schmälert das Budget der vorhandenen Spezialisten. Zudem werden in den nächsten Jahren sehr viele Schmerzmediziner aus Altersgründen in den Ruhestand gehen. „Auf diese Weise wird es uns in Niedersachsen niemals gelingen, auf eine wenigstens bundesdurchschnittliche Versorgung zu kommen. Denn hierfür wäre eine annähernde Verdoppelung der Anzahl von Schmerzmedizinern nötig,“ erklärt Dr. Brau.
Im Mittelpunkt der Tagung standen im BVSD außerdem neue Wahlen für den Landesvorsitz und die Delegierten an.
Die AWK freut sich, ihre neuen Veranstaltungsräume für solch überregionale Tagungen zur Verfügung stellen zu können. „Unsere Räumlichkeiten in der neuen Cafeteria boten den idealen Rahmen für diesen wertvollen Austausch“, betonte Dr. Peter Ahrens. Die Pächterinnen Janin Ihlenfeld und Behiye Eren sorgen seit dem 09.04.2024 unter dem Namen „Aller-Weser-Bistro – Wo Fürsorge auf Genuss trifft“ für die gastronomische Versorgung interner und externer Gäste.